Schmerzgedächtnis

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Schmerzgedächtnis

Beitrag von Archiv »

hallo zusammen

ARD gestern abend

schmerzgedächtnis

Starke und langandauernder Schmerzen können sich im Nervensystem regelrecht "einbrennen". Sie quälen die Patienten, auch wenn die Ursachen längst beseitigt sind. Münchner Forscher versuchen Ihren Patienten mit ausgeklügelten Lernprogrammen beizubringen, wie sie den Schmerz wieder "vergessen" können.

Zu Jennifer Wickenhöfer kam der Schmerz ganz unerwartet. Anfangs attackierte er ihre Wange nur in Abständen. Doch dann blieb der Nervenschmerz bei ihr. Jetzt schon fünf Jahre: "Am Anfang war das so, dass das nur kam, wenn ich den Mund bewegt habe. Und deswegen hab‘ ich auch, als ich im Krankenhaus lag, hab‘ ich gar nicht mehr gesprochen und fast gar nichts mehr gegessen und getrunken, weil ich‘s einfach gar nicht konnte, weil ich so ‘ne Angst hatte, weil es so schlimm für mich war. Später kam das dann auch, wenn ich gar nichts gemacht habe, einfach so, da hatte ich das dann dauernd."


"Der Schmerz war immer da"

Elfriede Paischer traf der Schmerz vor 11 Jahren. Damals diagnostizierten die Ärzte zunächst eine Sehnenscheidenentzündung. Eine Operation machte alles nur noch schlimmer. Der Schmerz hatte sich längst zu einer eigenen Krankheit entwickelt: "Der Schmerz war immer da. Er war kontinuierlich immer da und steigerte sich natürlich auch. Im Nachhinein, nach den Jahren würde ich sagen, bei Aufregung und Ärger zum Beispiel. Ich wurde auch nicht verstanden von den Ärzten. Die glaubten mir auch nicht, dass ich Schmerzen habe."

Sie haben Odysseen von Arztbesuchen hinter sich. Wie acht Millionen anderer Menschen in Deutschland leiden sie unter chronischen Schmerzen. Bei den meisten dauert es Jahre, bis klar wird: Der Schmerz hat sich verselbständigt.

Dabei ist der Schmerzreiz zuerst eine sinnvolle Warnung an das Gehirn. Bei einer Verletzung werden die Enden der Nervenfasern erregt und senden elektrische Impulse zum Rückenmark. Wenn eine bestimmte Menge Impulse die Nervenzellen im Rückenmark treffen, leiten die das Signal weiter ans Gehirn. Ein akuter Schmerzreiz versetzt das Gehirn in Alarmbereitschaft.



Schmerzgedächtnis – Schmerzerinnerungen brennen sich ins Gehirn

"Die Gefahr besteht, dass wenn dieses akute Schmerzgeschehen auf das Gehirn einwirkt, dass sich im Gehirn Erinnerungsspuren abzeichnen. Ganz ähnlich einem Bild, dass Sie wiederholt sehen, brennt es sich immer mehr in ihr Gehirn ein.", erklärt Prof. Walter Zieglgänsberger, Max-Planck-Institut für Psychiatrie.

Im Max Planck Institut untersuchen Forscher, was genau bei Schmerzen in einzelnen Zellen geschieht. Unter dem Mikroskop beobachten sie dafür die Probe aus dem Rückenmark einer Ratte. Sie machen sichtbar, was passiert, wenn der Schmerz über längere Zeit anhält: Mit einem elektrischen Impuls simulieren sie einen Schmerzreiz. Die Nervenzelle im Rückenmark gibt ein einfaches Signal weiter ans Gehirn. Doch wenn ein und derselbe Reiz in regelmäßigen Abständen auftaucht, reagiert die Zelle von Mal zu Mal heftiger. Auch wenn der Reiz nicht stärker wird, feuert sie irgendwann wie wild Signale ans Gehirn.

Prof. Zieglgänsberger dazu: "Wenn wir das 100 bis 200 Mal wiederholen, dann wird die Zelle, wie wir sagen, spontanaktiv. Dann braucht es gar keinen Schmerzreiz mehr, um die Zelle am Feuern zu halten. Und das würde bedeuten, dass unter Umständen in so einer Situation in der Peripherie, also in der Hand oder am Gelenk, überhaupt keine Entzündung mehr da sein muss. Und trotzdem tut es nach wie vor weh, weil diese Nervenzelle dem Gehirn meldet, hier ist noch etwas."

Ein ständiger Schmerz beeinflusst sogar die genetische Aktivität der Nervenzelle. Er bringt die DNA im Zellkern dazu, neue Eiweißketten zu bilden. Die verändern die Zellmembran so, dass die Nervenzelle nun schneller reagiert. Eigentlich ein typischer Prozess, wenn wir lernen. Nur "lernt" das Gehirn auf diese Weise auch den unerwünschten Schmerz.

Diesen Effekt hat auch Jennifer erlebt. Der Trigeminus-Nerv in ihrem Gesicht verursachte die Attacken. Die gelegentlichen Anfälle schaukelten sich hoch - zum anhaltenden Schmerz: "Das ist so ein Schmerz, in den man sich so richtig reinsteigert, weil man die ganze Zeit daran denkt. Und für einen wird das dann viel schlimmer."


Das Schmerzgedächtnis erforschen

An der Technischen Universität in München gingen die Forscher noch weiter: Sie wollten herausfinden, was im Gehirn eines Menschen bei Schmerz passiert. Dafür gaben sie gesunden Versuchspersonen Schmerzreize über eine kleine Heizplatte am Arm. Die Hirnaktivität zeichneten sie währenddessen mit einem Kernspintomographen auf. Zwei Wochen lang kamen die Probanden jeden Tag wieder, jeden Tag der gleiche kleine Schmerzreiz mit der Heizplatte. Mit der Zeit empfanden die Probanden dies als immer unangenehmer.

Die Auswertung der Tests belegt: Das Gehirn beginnt, anders auf die Reize zu reagieren. Es wird aktiver. Vor allem in den Hirnregionen, die Emotionen verarbeiten und für Gedächtnisbildung zuständig sind. Das hatten die Forscher erwartet – denn sobald Emotionen im Spiel sind, lernen wir meist am besten - leider im Positiven wie im Negativen.

Dazu Prof. Thomas R. Tölle von der TU München, Neurologie: "Das ist für uns der erste Nachweis dafür, dass eine solche Begrifflichkeit wie Schmerzgedächtnis in solch einem komplizierten Experiment auch nachweisbar wird in Hirnstrukturen, die wir mit Gedächtnisbildung auch zusammenbringen würden, und dass es sich hier um etwas handelt, dass wir für das gesamte Gehirn reklamieren dürfen, dass es stattfindet."

Die Hirnaktivität nimmt bei Schmerzen vom ersten bis zum zwölften Tag zu – sichtbar an dem Übergang von blau zu rot. Diese Aktivität kann Verknüpfungen im Gehirn verändern. Eine Art Kreislauf entsteht, ein Erinnerungsbild, das bei kleinsten Schmerzreizen wieder aufgerufen wird und schließlich dauernd vorhanden ist.


Das Ziel: Schmerz-Erinnerung reduzieren

Nun suchen Forscher, wie Prof. Zieglgänsberger vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie, nach Wegen, dieses Schmerzgedächtnis bei den Patienten wieder zu löschen: "Wir müssen die Erinnerung sozusagen reduzieren. Wir nennen es ‘Extinktion‘, ein Vergessen. Das ist praktisch das Spiegelbild des Aufbaus des Gedächtnisses, das Vergessen. Und da haben wir auch körpereigene Systeme, die uns dabei helfen. Wir bilden im Gehirn ‘Endocannabinoide‘, also Marihuana-artige Stoffe, die uns beim Vergessen helfen. Das bilden wir aus unseren Nervenzellen direkt, und wir sind gerade dabei, intensiv zu forschen, wie man diese Vorgänge fördern kann."

Bis die Forschung soweit ist, müssen Patienten wohl weiterhin mit Tabletten, Spritzen oder Entspannungsübungen vorlieb nehmen. Für viele ist es aber schon ein großer Schritt, dass ihre Schmerzen überhaupt als eigenständige Krankheit anerkannt werden.

(Autorin: Dunja Stamer)

gruß walter
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Re: Schmerzgedächtnis

Beitrag von Archiv »

Archiv hat geschrieben: Sa 13. Jan 2018, 17:58 hallo zusammen

ARD gestern abend

schmerzgedächtnis

Starke und langandauernder Schmerzen können sich im Nervensystem regelrecht "einbrennen". Sie quälen die Patienten, auch wenn die Ursachen längst beseitigt sind. Münchner Forscher versuchen Ihren Patienten mit ausgeklügelten Lernprogrammen beizubringen, wie sie den Schmerz wieder "vergessen" können.

Zu Jennifer Wickenhöfer kam der Schmerz ganz unerwartet. Anfangs attackierte er ihre Wange nur in Abständen. Doch dann blieb der Nervenschmerz bei ihr. Jetzt schon fünf Jahre: "Am Anfang war das so, dass das nur kam, wenn ich den Mund bewegt habe. Und deswegen hab‘ ich auch, als ich im Krankenhaus lag, hab‘ ich gar nicht mehr gesprochen und fast gar nichts mehr gegessen und getrunken, weil ich‘s einfach gar nicht konnte, weil ich so ‘ne Angst hatte, weil es so schlimm für mich war. Später kam das dann auch, wenn ich gar nichts gemacht habe, einfach so, da hatte ich das dann dauernd."


"Der Schmerz war immer da"

Elfriede Paischer traf der Schmerz vor 11 Jahren. Damals diagnostizierten die Ärzte zunächst eine Sehnenscheidenentzündung. Eine Operation machte alles nur noch schlimmer. Der Schmerz hatte sich längst zu einer eigenen Krankheit entwickelt: "Der Schmerz war immer da. Er war kontinuierlich immer da und steigerte sich natürlich auch. Im Nachhinein, nach den Jahren würde ich sagen, bei Aufregung und Ärger zum Beispiel. Ich wurde auch nicht verstanden von den Ärzten. Die glaubten mir auch nicht, dass ich Schmerzen habe."

Sie haben Odysseen von Arztbesuchen hinter sich. Wie acht Millionen anderer Menschen in Deutschland leiden sie unter chronischen Schmerzen. Bei den meisten dauert es Jahre, bis klar wird: Der Schmerz hat sich verselbständigt.

Dabei ist der Schmerzreiz zuerst eine sinnvolle Warnung an das Gehirn. Bei einer Verletzung werden die Enden der Nervenfasern erregt und senden elektrische Impulse zum Rückenmark. Wenn eine bestimmte Menge Impulse die Nervenzellen im Rückenmark treffen, leiten die das Signal weiter ans Gehirn. Ein akuter Schmerzreiz versetzt das Gehirn in Alarmbereitschaft.



Schmerzgedächtnis – Schmerzerinnerungen brennen sich ins Gehirn

"Die Gefahr besteht, dass wenn dieses akute Schmerzgeschehen auf das Gehirn einwirkt, dass sich im Gehirn Erinnerungsspuren abzeichnen. Ganz ähnlich einem Bild, dass Sie wiederholt sehen, brennt es sich immer mehr in ihr Gehirn ein.", erklärt Prof. Walter Zieglgänsberger, Max-Planck-Institut für Psychiatrie.

Im Max Planck Institut untersuchen Forscher, was genau bei Schmerzen in einzelnen Zellen geschieht. Unter dem Mikroskop beobachten sie dafür die Probe aus dem Rückenmark einer Ratte. Sie machen sichtbar, was passiert, wenn der Schmerz über längere Zeit anhält: Mit einem elektrischen Impuls simulieren sie einen Schmerzreiz. Die Nervenzelle im Rückenmark gibt ein einfaches Signal weiter ans Gehirn. Doch wenn ein und derselbe Reiz in regelmäßigen Abständen auftaucht, reagiert die Zelle von Mal zu Mal heftiger. Auch wenn der Reiz nicht stärker wird, feuert sie irgendwann wie wild Signale ans Gehirn.

Prof. Zieglgänsberger dazu: "Wenn wir das 100 bis 200 Mal wiederholen, dann wird die Zelle, wie wir sagen, spontanaktiv. Dann braucht es gar keinen Schmerzreiz mehr, um die Zelle am Feuern zu halten. Und das würde bedeuten, dass unter Umständen in so einer Situation in der Peripherie, also in der Hand oder am Gelenk, überhaupt keine Entzündung mehr da sein muss. Und trotzdem tut es nach wie vor weh, weil diese Nervenzelle dem Gehirn meldet, hier ist noch etwas."

Ein ständiger Schmerz beeinflusst sogar die genetische Aktivität der Nervenzelle. Er bringt die DNA im Zellkern dazu, neue Eiweißketten zu bilden. Die verändern die Zellmembran so, dass die Nervenzelle nun schneller reagiert. Eigentlich ein typischer Prozess, wenn wir lernen. Nur "lernt" das Gehirn auf diese Weise auch den unerwünschten Schmerz.

Diesen Effekt hat auch Jennifer erlebt. Der Trigeminus-Nerv in ihrem Gesicht verursachte die Attacken. Die gelegentlichen Anfälle schaukelten sich hoch - zum anhaltenden Schmerz: "Das ist so ein Schmerz, in den man sich so richtig reinsteigert, weil man die ganze Zeit daran denkt. Und für einen wird das dann viel schlimmer."


Das Schmerzgedächtnis erforschen

An der Technischen Universität in München gingen die Forscher noch weiter: Sie wollten herausfinden, was im Gehirn eines Menschen bei Schmerz passiert. Dafür gaben sie gesunden Versuchspersonen Schmerzreize über eine kleine Heizplatte am Arm. Die Hirnaktivität zeichneten sie währenddessen mit einem Kernspintomographen auf. Zwei Wochen lang kamen die Probanden jeden Tag wieder, jeden Tag der gleiche kleine Schmerzreiz mit der Heizplatte. Mit der Zeit empfanden die Probanden dies als immer unangenehmer.

Die Auswertung der Tests belegt: Das Gehirn beginnt, anders auf die Reize zu reagieren. Es wird aktiver. Vor allem in den Hirnregionen, die Emotionen verarbeiten und für Gedächtnisbildung zuständig sind. Das hatten die Forscher erwartet – denn sobald Emotionen im Spiel sind, lernen wir meist am besten - leider im Positiven wie im Negativen.

Dazu Prof. Thomas R. Tölle von der TU München, Neurologie: "Das ist für uns der erste Nachweis dafür, dass eine solche Begrifflichkeit wie Schmerzgedächtnis in solch einem komplizierten Experiment auch nachweisbar wird in Hirnstrukturen, die wir mit Gedächtnisbildung auch zusammenbringen würden, und dass es sich hier um etwas handelt, dass wir für das gesamte Gehirn reklamieren dürfen, dass es stattfindet."

Die Hirnaktivität nimmt bei Schmerzen vom ersten bis zum zwölften Tag zu – sichtbar an dem Übergang von blau zu rot. Diese Aktivität kann Verknüpfungen im Gehirn verändern. Eine Art Kreislauf entsteht, ein Erinnerungsbild, das bei kleinsten Schmerzreizen wieder aufgerufen wird und schließlich dauernd vorhanden ist.


Das Ziel: Schmerz-Erinnerung reduzieren

Nun suchen Forscher, wie Prof. Zieglgänsberger vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie, nach Wegen, dieses Schmerzgedächtnis bei den Patienten wieder zu löschen: "Wir müssen die Erinnerung sozusagen reduzieren. Wir nennen es ‘Extinktion‘, ein Vergessen. Das ist praktisch das Spiegelbild des Aufbaus des Gedächtnisses, das Vergessen. Und da haben wir auch körpereigene Systeme, die uns dabei helfen. Wir bilden im Gehirn ‘Endocannabinoide‘, also Marihuana-artige Stoffe, die uns beim Vergessen helfen. Das bilden wir aus unseren Nervenzellen direkt, und wir sind gerade dabei, intensiv zu forschen, wie man diese Vorgänge fördern kann."

Bis die Forschung soweit ist, müssen Patienten wohl weiterhin mit Tabletten, Spritzen oder Entspannungsübungen vorlieb nehmen. Für viele ist es aber schon ein großer Schritt, dass ihre Schmerzen überhaupt als eigenständige Krankheit anerkannt werden.

(Autorin: Dunja Stamer)

gruß walter

Immer diese Halbwahrheiten in der Presse, man kann da wirklich nur den Kopf schütteln.

Man weiß genau, wie das Schmerzgedächtnis funktioniert. Und das weiß man schon eine ganze Weile.

Aber um das ganz klar zu sagen, das funktioniert nur (!) bei Schmerzen, die aus dem Körper kommen.
Bei CK funktioniert das nicht, weil hier ganz andere Schmerzleitungen angesprochen werden.

Gruß und schmerzfreie Zeit


https://www.clusterkopf.de
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