Das Bundesverfassungsgerich hat am 6.12. ein Urteil zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung gefällt, welches zwar als solches für die Cluster-Betroffenen nicht direkt zutrifft (im diesem Fall geht es um eine lebensbedrohliche Krankheit), aber einige für uns hochinteressante Aspekte enthält. Meine Umdeutung des Urteils (bin kein Jurist) auf die Cluster-Situation würde heißen:
Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen nicht mit dem Hinweis etwa auf das Fehlen einer Zulassung eines Arzneimittels oder einer Behandlungsmethode für eine bestimmte Krankheit die Zahlung verweigern, wenn durch diese Behandlung eine begründete Aussicht zur Linderung einer erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigung besteht.
Der Link zeigt auf das Urteil im Wortlaut. Ich würde empfehlen, das Urteil hinsichtlich der Übertragbarkeit auf unsere Situation überprüfen zu lassen.
Nachfolgend die Pressemitteilung im Wortlaut.
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Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 126/2005 vom 16. Dezember 2005
Zum Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 –
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Verweigerung der Leistung
der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethode
Die Verfassungsbeschwerde des 18-jährigen Beschwerdeführers, der an
einer seltenen, lebensbedrohlichen Krankheit leidet, gegen die Weigerung
der gesetzlichen Krankenversicherung, für die Kosten einer so genannten
neuen Behandlungsmethode aufzukommen, war erfolgreich. Der Erste Senat
des Bundesverfassungsgerichts hob das angegriffene Urteil des
Bundessozialgerichts auf, das eine Leistungspflicht der Krankenkasse
verneinte. Es sei mit der grundgesetzlich garantierten allgemeinen
Handlungsfreiheit, dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht auf Leben nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen
lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein
anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur
Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich
angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz
entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Sache wurde zur
erneuten Entscheidung an das Bundessozialgericht zurückverwiesen.
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer war von 1992 bis 1994 in einer Ersatzkasse als
Familienangehöriger versichert. Er leidet an der Duchenne’schen
Muskeldystrophie. Diese Krankheit tritt ausschließlich beim männlichen
Geschlecht auf, und zwar mit einer Häufigkeit von 1:3.500. Die Krankheit
manifestiert sich in den ersten Lebensjahren; ihr prognostizierter
Verlauf ist fortschreitend. Mit dem Verlust der Gehfähigkeit ist
normalerweise zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr zu rechnen; es tritt
zunehmend Ateminsuffizienz auf. Die Krankheit äußert sich auch in
Wirbelsäulendeformierungen, Funktions- und Bewegungseinschränkungen von
Gelenken sowie in Herzmuskelerkrankungen. Die Lebenserwartung ist stark
eingeschränkt. Üblicherweise wird nur eine symptomorientierte Behandlung
durchgeführt. Bislang gibt es keine wissenschaftlich anerkannte
Therapie, die eine Heilung oder eine nachhaltige Verzögerung des
Krankheitsverlaufs bewirken kann.
Seit September 1992 befindet sich der Beschwerdeführer in Behandlung bei
einem Facharzt für Allgemeinmedizin. Bei dieser Behandlung werden neben
Thymuspeptiden, Zytoplasma und homöopathischen Mitteln hochfrequente
Schwingungen angewandt. Bis Ende 1994 hatten die Eltern des
Beschwerdeführers dafür einen Betrag von 10.000 DM aufgewandt. Die Ärzte
der Orthopädischen Klink der Technischen Hochschule A. und eine
mitbetreuende Ärztin hielten den bisherigen Krankheitsverlauf für
günstig. Seit Herbst 2000 ist der Beschwerdeführer, der eine öffentliche
Schule besucht, auf einen Rollstuhl angewiesen. Der Antrag auf Übernahme
der entstandenen Kosten für die Therapie wurde von der Krankenkasse
abgelehnt, da ein Therapieerfolg der angewandten Methoden
wissenschaftlich nicht nachgewiesen sei. Die hiergegen gerichtete Klage
blieb in letzter Instanz vor dem Bundessozialgericht ohne Erfolg. Die
Verfassungsbeschwerde war erfolgreich.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die Entscheidung des Bundessozialgerichts steht nicht im Einklang mit
dem Grundgesetz.
Es ist mit Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung
mit dem Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar, den Einzelnen unter
bestimmten Voraussetzungen einer Versicherungspflicht in der
gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen und für seine Beiträge
die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zuzusagen, ihn
andererseits aber, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar
regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische
Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten
Behandlungsmethode auszuschließen und ihn auf eine Finanzierung der
Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen.
Dabei muss allerdings die vom Versicherten gewählte Behandlungsmethode
eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine
spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen. Für
die Behandlung der Duchenne’schen Muskeldystrophie steht gegenwärtig
allein ein symptomatisches Therapiespektrum zur Verfügung. Eine
unmittelbare Einwirkung auf die Krankheit und ihren Verlauf mit
gesicherten wissenschaftlichen Methoden ist noch nicht möglich.
Die angegriffene Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch durch das Bundessozialgericht ist in der
extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr auch nicht mit
der Schutzpflicht des Staates für das Leben zu vereinbaren. Übernimmt
der Staat mit dem System der gesetzlichen Krankenversicherung
Verantwortung für Leben und körperliche Unversehrtheit der Versicherten,
so gehört die Vorsorge in Fällen einer lebensbedrohlichen oder
regelmäßig tödlichen Erkrankung unter den genannten Voraussetzungen zum
Kernbereich der Leistungspflicht und der von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
geforderten Mindestversorgung.
In derartigen Fällen haben daher die im Streitfall vom Versicherten
angerufenen Sozialgerichte zu prüfen, ob es für die vom Arzt nach
gewissenhafter fachlicher Einschätzung vorgenommene oder von ihm
beabsichtigte Behandlung ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz
entfernt liegenden Heilungserfolg oder auch nur auf eine spürbare
positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall
gibt.