Mein Monster

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Archiv
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Registriert: Mo 8. Jan 2018, 16:14

Mein Monster

Beitrag von Archiv »

Ich sitze entspannt, aber sehr müde auf dem Sofa, leicht vornüber gebeugt und warte.
Die Straßenbeleuchtung ist vor ein paar Minuten angegangen, Licht scheint horizontal geschichtet durch das straßenseitige Fenster auf den Teppich vor mir. Das Muster gefällt mir, ich bin Maler, visuelle Dinge sind mein Leben. Langsam schließe ich die Augen, da ist es.
Behutsam schleicht es sich in meinen Kopf, ich habe es erst gar nicht bemerkt, ist es schon durch die dünnhäutige Hülle meines Kopfes in die Schläfe eingedrungen, und krallt sich hinter meinem linken Auge fest. Ich ordere unverzüglich mein Allheilmittel, das Gas der Gase, Sauerstoff.
Eile ist gefordert, Elena meine Gattin rast zum Abstellraum, nur zwei Meter von mir, ich bewege mich vorerst nicht, und widerstehe dem Drang mein linkes Auge mit der Fernbedienung der Heimkinoanlage zu zerquetschen. Ich packe ein Haarbüschel oberhalb der linken Schläfe, und ziehe stetig daran. Als ich das Gefühl habe, die Kopfhaut von meinem Schädel zu trennen, ist Elena mit der Flasche bei mir, das Ventil ist offen, Sie stellt den Durchfluß auf höchste Stufe, Sie drückt mir die Maske ins Gesicht, ich kann nicht feststellen, ob ich noch atme, aber ich muß jetzt atmen. Hektisch bewege ich die Beine im Sitzen auf und ab, indem ich auf den Fußballen wippe, ein Staccato, ein rasendes Auf und Ab. Mein Oberkörper schwingt leicht nach vorne und wieder zurück, pendelt sich ein.
Geräuschvoll sauge ich den Sauerstoff in mich hinein und atme aus. Ich versuche erst gar nicht normal zu atmen. Mehr Gas, mehr Gas. Ich drücke die Maske mit der rechten Hand ins Gesicht, die linke Hand ist am Ventil, das muß doch noch weiter aufgehen. Maximum. Warten. Atmen.Schmerz. Jemand hat mir einen glühenden Dreizack in den Kopf gestoßen, ich hasse Ihn dafür. Ich hasse mich. Ich hasse die ganze Welt. Warum Ich. Unfassbar. Es gibt eine Steigerung von Schmerz. Ich muß lächeln, als mich eine Attacke erfaßt, die unbeschreiblich ist. Das fühlt sich an wie Wahnsinn. Weiß ich, wie sich Wahnsinn anfühlt?
Ich schreie in mich hinein, ich hülle meinen Schmerz in Schimpfkanonaden, stumm isoliere ich Ihn, ich weiß genau, wo er sitzt, ich schlage mit der Faust eben genau auf diese Stelle, vielleicht kann ich Ihn durch meinen Schädel hinausschlagen.
Jemand hat mir etwas auf den Kopf gelegt. Kalt. Ein nasses Tuch. Langsam begreife ich, das Monster weicht, ich habe Ihm stark zugesetzt, ich habe es Stück für Stück zurückgedrängt, es zieht sich zurück.
Der Schmerz fordert immer noch Bewegung, meine Beine schnellen immer noch auf und ab. Die Nadel auf meiner 10-stelligen Schmerzskala verharrt einen Augenblick auf der 9, mir kommt der Gedanke, ich muß meine Skala nach oben berichtigen, nur weiß ich nicht wie hoch.
8.....7......6.....5.....- fast Normalzustand. Leichte Entspannung, meine linke Hand läßt das Ventil los, irgendwann reiß ich das Ding noch ab, ich blicke auf, und atme tief durch.
Die Maske vom Gesicht entfernend lehne ich mich vorsichtig zurück. Ich sage nichts. Ich kann nicht. Ich bin fassungslos. Mein Gesicht ist tot. Das linke Auge ist rot und beendet langsam seinen Tränenfluß. Augenlid und Tränensäcke fühlen sich aufgebläht an, das Monster verläßt mich über Schläfe, Ohr, Hals und Schulter. Restschmerz. Ich wische mir über die Oberlippe, alles nass.
Das leicht vernehmbare Pfeiffen des Sauerstoffventils verstummt. Auf die Frage Alles OK? versuche ich zu nicken, ich schaffe es lediglich die Augen zu schließen. Warum? Warum Ich?
Ich strecke Elena die linke Hand hin, um Ihr zu zeigen, daß ich da bin, Sie ergreift Sie, und setzt sich neben mich. Ich bin nicht alleine.
4.....3......- Ein Restschmerz bleibt, macht vielleicht süchtig!?
Ich möchte schlafen, ruhen, entspannen. Angst. Dann holt es mich wieder, und ich kann mich nicht wehren. Wenn ich dann aufwache, ist es schon da. Und es will mit mir kämpfen, will, daß ich unterliege, daß ich verliere. Angst!

Ich will Euch mit meiner Schilderung nicht noch mehr verschrecken, als Ihr ohnehin schon seid.
Ich will Euch damit sagen, daß Ihr nicht alleine seid, und daß ich Euch verstehe, weil es auch mir widerfährt. Euer Monster wird wieder zuschlagen, so wie meines, aber kämpft dagegen, so wie ich.

Viel Glück und Stärke

Andreas
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