FOCUS-online berichtet
Verfasst: Mo 15. Jan 2018, 17:00
S C H M E R Z F O R S C H U N G
Den Ursachen auf der Spur
Als vielteiliges Puzzlespiel gestaltet sich die Fahndung nach den Ursachen für Kopfschmerzen: Wissenschaftler entdecken mutierte Gene, verletzte Blutgefäße, aber auch Schmerzauslöser aus der Umwelt. Große Studien zeigen: Psycho-Stress fördert die Krankheit vor allem bei Kindern.
Immer wieder stoßen Forscher bei ihrer Suche auf entzündete Gefäße im Kopf: Sie scheinen mit Spannungskopfschmerzen, Migräne und dem besonders heftigen Cluster-Kopfschmerz in Verbindung zu stehen. Letzterer trifft vor allem Männer. Sie leiden an unerträglich brennenden oder stechenden Attacken hinter einem Auge. Während einer Operation beobachtete Hartmut Göbel von der Schmerzklinik Kiel kleine Entzündungsherde am so genannten Sinus cavernosus eines Patienten. Dabei handelt es sich um ein Gefäßgeflecht, das die Augenhöhle mit Nährstoffen versorgt. Der Wissenschaftler geht davon aus, dass diese Entzündungen den Cluster-Kopfschmerz mit verursachen. Tränende, gerötete und geschwollene Augen, die typischerweise während der Attacke auftreten, untermauern seine Beobachtung.
Arne May, Neurologe von der Uniklinik Regensburg, vertritt eine andere These. Er vermutet eine Fehlsteuerung des Hypothalamus hinter dem Cluster-Kopfschmerz. Das ist die Gehirnregion, die die körpereigenen Rhythmen steuert, z. B. den Blutkreislauf oder den Schlaf-Wach-Zyklus. Für Arne Mays Theorie sprechen unter anderem Beobachtungen an Patienten. Beispielsweise hatten sie eine Cluster-Kopfschmerz-Attacke erlebt, nachdem ihre innere Uhr durch die Zeitverschiebung nach einer Fernreise durcheinander gekommen war.
Auch an der Berliner Charité suchen Neurologen nach Anhaltspunkten für Kopfschmerzen. Guy Arnold, Leiter der klinischen Kopfschmerz-Forschung, nimmt an, dass ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren den Kopfschmerz auslösen kann. „Es ist momentan noch kaum zu klären, was die Ursachen sind und was die Folgen“, sagt Arnold.
Grundstein im Erbgut
Wenn die Migräne Oma, Mutter, Tochter und Enkelkind plagt, kann das kein Zufall sein. Mediziner vermuteten es schon länger: Die Veranlagung zu Migräne vererbt sich von Generation zu Generation. Doch erst hartnäckiges Schürfen im Erbgut brachte den Beweis: Die Krankheit liegt in den Genen. Der Erbforscher Giorgio Casari vom San-Raffaele-Institut in Mailand und der Neurowissenschaftler Roberto Marconi untersuchten vier Jahre lang eine Familie. Die Mitglieder leiden seit sechs Generationen an der so genannten familiären hemiplegischen Migräne (FHM), einer Sonderform des Kopfschmerzes. Vergangenes Jahr entdeckten sie ein defektes Gen auf dem Chromosom 1.
Die winzigen Veränderungen im Erbgut bewirken, dass bestimmte Kanäle, die Kalzium in und aus der Nervenzelle schleusen, nicht mehr ordnungsgemäß pumpen. „Diese Kalziumkanäle arbeiten normalerweise als eine Art Schmerzpuffer. Sind sie defekt, werden die Schmerzen unverhältnismäßig stark weitergegeben“, erklärt Stefan Evers, Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG).
Ob dieser Defekt auch Ursache für die typische Form der Migräne ist, wissen die Forscher noch nicht. Sie vermuten aber, dass die Veranlagung dazu ebenfalls im Erbgut steckt. Dafür spricht die klassische Zwillingsforschung: Bei der Hälfte aller eineiigen Zwillingspaare, die unter Migräne leiden, erkrankten beide Geschwister. Bei den zweieiigen waren nur 14 Prozent gleichermaßen betroffen.
Umweltfaktoren als Auslöser
Die Wissenschaftler beschäftigen sich auch mit der Frage, warum sich in den vergangenen 40 Jahren die Zahl migränekranker Kinder etwa verdreifacht hat. Stefan Evers von der Uniklinik Münster glaubt aber nicht, dass die Menge der Menschen mit einer Veranlagung für Migräne so dramatisch zugenommen hat. Vielmehr gäbe es mehr Auslöser der Krankheit: „Kinder wie Erwachsene sind heute viel stärker den Faktoren ausgesetzt, die Migräne auslösen“, sagt er. Also käme es häufiger zu den Kopfattacken.
Zu den Krankmachern gehörten beispielsweise Stress in der Familie, Leistungsdruck und Alkohol. Tatsächlich gab mehr als ein Drittel der in einer deutschen Studie befragten Kinder an, dass die Schulsituation und traurige Gefühle Grund für ihre Kopfschmerzen seien. 40 Prozent berichteten von Problemen mit den Eltern. Wie heftig die Migräne das Leben der Kinder beeinträchtigt, zeigt eine amerikanische Studie vom Juli letzten Jahres: Von Kopfschmerzen geplagte Kinder empfinden ihre Krankheit mindestens genauso belastend wie Kinder, die an Krebs oder rheumatischen Erkrankungen leiden. Scott Powers, Leiter der Studie, fordert deswegen Kinderärzte auf, verstärkt auf Kopfschmerzen ihrer kleinen Patienten zu achten.
Den Ursachen auf der Spur
Als vielteiliges Puzzlespiel gestaltet sich die Fahndung nach den Ursachen für Kopfschmerzen: Wissenschaftler entdecken mutierte Gene, verletzte Blutgefäße, aber auch Schmerzauslöser aus der Umwelt. Große Studien zeigen: Psycho-Stress fördert die Krankheit vor allem bei Kindern.
Immer wieder stoßen Forscher bei ihrer Suche auf entzündete Gefäße im Kopf: Sie scheinen mit Spannungskopfschmerzen, Migräne und dem besonders heftigen Cluster-Kopfschmerz in Verbindung zu stehen. Letzterer trifft vor allem Männer. Sie leiden an unerträglich brennenden oder stechenden Attacken hinter einem Auge. Während einer Operation beobachtete Hartmut Göbel von der Schmerzklinik Kiel kleine Entzündungsherde am so genannten Sinus cavernosus eines Patienten. Dabei handelt es sich um ein Gefäßgeflecht, das die Augenhöhle mit Nährstoffen versorgt. Der Wissenschaftler geht davon aus, dass diese Entzündungen den Cluster-Kopfschmerz mit verursachen. Tränende, gerötete und geschwollene Augen, die typischerweise während der Attacke auftreten, untermauern seine Beobachtung.
Arne May, Neurologe von der Uniklinik Regensburg, vertritt eine andere These. Er vermutet eine Fehlsteuerung des Hypothalamus hinter dem Cluster-Kopfschmerz. Das ist die Gehirnregion, die die körpereigenen Rhythmen steuert, z. B. den Blutkreislauf oder den Schlaf-Wach-Zyklus. Für Arne Mays Theorie sprechen unter anderem Beobachtungen an Patienten. Beispielsweise hatten sie eine Cluster-Kopfschmerz-Attacke erlebt, nachdem ihre innere Uhr durch die Zeitverschiebung nach einer Fernreise durcheinander gekommen war.
Auch an der Berliner Charité suchen Neurologen nach Anhaltspunkten für Kopfschmerzen. Guy Arnold, Leiter der klinischen Kopfschmerz-Forschung, nimmt an, dass ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren den Kopfschmerz auslösen kann. „Es ist momentan noch kaum zu klären, was die Ursachen sind und was die Folgen“, sagt Arnold.
Grundstein im Erbgut
Wenn die Migräne Oma, Mutter, Tochter und Enkelkind plagt, kann das kein Zufall sein. Mediziner vermuteten es schon länger: Die Veranlagung zu Migräne vererbt sich von Generation zu Generation. Doch erst hartnäckiges Schürfen im Erbgut brachte den Beweis: Die Krankheit liegt in den Genen. Der Erbforscher Giorgio Casari vom San-Raffaele-Institut in Mailand und der Neurowissenschaftler Roberto Marconi untersuchten vier Jahre lang eine Familie. Die Mitglieder leiden seit sechs Generationen an der so genannten familiären hemiplegischen Migräne (FHM), einer Sonderform des Kopfschmerzes. Vergangenes Jahr entdeckten sie ein defektes Gen auf dem Chromosom 1.
Die winzigen Veränderungen im Erbgut bewirken, dass bestimmte Kanäle, die Kalzium in und aus der Nervenzelle schleusen, nicht mehr ordnungsgemäß pumpen. „Diese Kalziumkanäle arbeiten normalerweise als eine Art Schmerzpuffer. Sind sie defekt, werden die Schmerzen unverhältnismäßig stark weitergegeben“, erklärt Stefan Evers, Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG).
Ob dieser Defekt auch Ursache für die typische Form der Migräne ist, wissen die Forscher noch nicht. Sie vermuten aber, dass die Veranlagung dazu ebenfalls im Erbgut steckt. Dafür spricht die klassische Zwillingsforschung: Bei der Hälfte aller eineiigen Zwillingspaare, die unter Migräne leiden, erkrankten beide Geschwister. Bei den zweieiigen waren nur 14 Prozent gleichermaßen betroffen.
Umweltfaktoren als Auslöser
Die Wissenschaftler beschäftigen sich auch mit der Frage, warum sich in den vergangenen 40 Jahren die Zahl migränekranker Kinder etwa verdreifacht hat. Stefan Evers von der Uniklinik Münster glaubt aber nicht, dass die Menge der Menschen mit einer Veranlagung für Migräne so dramatisch zugenommen hat. Vielmehr gäbe es mehr Auslöser der Krankheit: „Kinder wie Erwachsene sind heute viel stärker den Faktoren ausgesetzt, die Migräne auslösen“, sagt er. Also käme es häufiger zu den Kopfattacken.
Zu den Krankmachern gehörten beispielsweise Stress in der Familie, Leistungsdruck und Alkohol. Tatsächlich gab mehr als ein Drittel der in einer deutschen Studie befragten Kinder an, dass die Schulsituation und traurige Gefühle Grund für ihre Kopfschmerzen seien. 40 Prozent berichteten von Problemen mit den Eltern. Wie heftig die Migräne das Leben der Kinder beeinträchtigt, zeigt eine amerikanische Studie vom Juli letzten Jahres: Von Kopfschmerzen geplagte Kinder empfinden ihre Krankheit mindestens genauso belastend wie Kinder, die an Krebs oder rheumatischen Erkrankungen leiden. Scott Powers, Leiter der Studie, fordert deswegen Kinderärzte auf, verstärkt auf Kopfschmerzen ihrer kleinen Patienten zu achten.