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(Berufs-)Leben mit chronischem Cluster
Verfasst: Di 31. Mai 2022, 01:35
von zimbelstern
Einen guten Tag ans Forum.
Gerne würde ich ein Thema neu aufmachen und fragen bzw. in Austausch kommen, wie es euch im Alltag geht, so ihr (chronischen) Cluster habt und berufstätig seid.
Dieses Thema beschäftigt mich eigentlich laufend immer wieder. Denn ich mache die Erfahrung: auch außerhalb von Attacken ist - zumindest bei chronischem Verlauf (und ich stelle mir vor, dass auch EpisodikerInnen das kennen) - ja auch nicht alles einfach ganz durchschnittlich.
Kurz zu meinem Hintergrund:
* Bin 50 Jahre alt, weilblich.
* Komme ursprünglich aus Deutschland, lebe aber seit 18 Jahren in Österreich, bin verheiratet.
* Arbeite im Sozialbereich mit einem GdB von 50% und entsprechenden Arbeitsplatzregelungen (teilweise differierend von jenen in Deutschland).
* Habe Cluster bereits im Jugendalter bekommen, diagnostiziert wurde er endlich 2010 nach jahrzehntelanger Odyssee.
* Verlaufsform ist chronisch, Attacken mit nur wenigen Ausnahmen täglich, vor allem nachts, aber nicht nur.
* Bin grundsätzlich in guter Versorgung (das ist also nicht meine Frage an euch), sowohl hinsichtlich Akutversorgung als auch Attackenprophylaxe.
* Habe im Lauf der vielen Jahre Schritt für Schritt lernen müssen, mein Leben so zu strukturieren, dass ich meine Berufstätigkeit bisher erhalten konnte - wenn auch nicht einfach, sondern um den Preis vieler Einschränkungen an anderer Stelle.
... Das klingt auf den ersten Blick alles recht gut, und ich bin dankbar, dass es nach vielen Jahren immer noch so geht wie es geht .... aber smooth und easy ist einfach gar nichts, auch wenn man das nicht laufend vor sich her trägt im Alltag.
Ich spüre, dass der Cluster mein gesamtes Leben tangiert, und auch wenn ich ihm nicht zugestehe, dass er vollkommen dominiert, habe ich auch lernen müssen, dass mit Wegschieben-wollen gar nichts funktioniert, sondern dass das Thema laufend im Hintergrund mit bedacht und eingeplant werden muss, damit Gestaltungsspielräume entstehen können.
Was mir durch den Kopf geht:
Wie geht es euch? Ist außerhalb der Attacken alles einfach ganz so als gäbe es keinen Cluster in eurem Leben?
Und wenn nicht: was sind Punkte, an denen ihr merkt, dass der Alltag von einem Clusterkopf nicht 0-8-15 sich gestalten lässt und sich von jenem Gesunder unterscheidet? Wie erlebt ihr, dass eure Umwelt reagiert wenn dieses "Anders" an manchem Punkt transparent wird?
´Stichworte von mir zur Illustration - und ich erzähle euch damit vermutlich nichts Fremdes:
* Thema gestörter Nachtschlaf durch Attacken - und alles was daran hängt
* Verschiebung von Tag-Nacht-Rhythmen
* Strukturelle Regelungen für den Arbeitsbereich, die ausgehandelt (und ggf. zwischendurch adaptiert) werden müssen
* Teilweise Unberechenbarkeit des Clusters und das was das für Pläne bedeutet
... und vieles mehr.
Würde mich freuen, wenn wir - mit offenem Ergebnis - in Austausch kommen könnten:
Wie sind eure Erfahrungen, was habt ihr vielleicht wie organisiert, wie geht ihr Dinge an, um Stolpersteine im Alltag zu überwinden?
Ihr merkt, meine Anfrage ist erst einmal sehr offen - aber das Thema liegt mir am Herzen.
Ich habe das Gefühl, das, was zwischen den Attacken ja dennoch auch da ist - darüber wird kaum gesprochen. Und das Leben auch von uns Clusterköpfen ist doch viel mehr als nur die Dualität Attacke - nicht Attacke.
Ich bin gespannt auf eure Erfahrungen.
Liebe Grüße - und viele schmerzfreie Phasen, zimbelstern
Re: (Berufs-)Leben mit chronischem Cluster
Verfasst: So 9. Okt 2022, 11:23
von Nesschen
Liebe Zimbelstern,
Zunächst möchte ich kurz sagen dass Clusterkopfschmerzen bei mir nicht diagnostiziert sind. die letzten 20 Jahre hieß es immer Mischkopfschmerzen und jetzt "nicht klassifizierbar". Da meine Lebensqualität durch meinen durchgehenden Kopfschmerz enorm in Mitleidenschaft gezogen ist möchte ich dir aber antworten.
Früher hab ich meinen Kopfschmerz lange geheim gehalten vor neuen Bekannten und Arbeitskollegen, auch im Studium. (Man muss dazu sagen dass die Schmerzen mittlerweile auch deutlich schlechter sind als früher) Ich war dann während Attacken oft einfach lange im Klo oder hab mich im Keller "versteckt" bis es wieder ging. Hab mir extra ein Studium mit wenig Anwesenheitspflicht gesucht und wenugen Vorlesungen in der Früh.Grund dafür: in der Schule hieß es oft ich tu nur so um mich davor zu drücken. Auch zB während der mündlichen Matura hatte ich ne Attacke und vor lauter Schmerzen zu weinen begonnen und irgendwann bin ich während der mündlichen Prüfung im Komitee einfach aufgestanden und gegangen, m7ch aufs Klo verzogen und meinen Kopf gegen die Wand geschlagen bis es besser wurde. Bin natürlich durchgefallen, meine Mutter brachte mich ins Krankenhaus und nach der Geschichte sagten sie ich war nervös weil ich wohl nicht gelernt hatte......
Das Studium konnte ich auch nicht beenden also ging ich arbeiten... Meine Verträge wurden aber nie verlängert und ich hörte von den Chefs immer ich wäre psychisch nicht belastbar, weil Kopfschmerzen haben laut Laien ja stets mit Stress und Psyche zu tun. Vor 2 Jahren bin ich beruflich dann in den Sozialbereich gegangen für 16 Stunden (hauptsächlich weil ich Bürojobs nicht mehr machen kann weil seit einiger Zeit die Schmerzen beim Lesen schon nach 10Minututen unerträglich werden). Das war das erste Vorstellungsgespräch bei dem ich offen über meine chronischen Kopfschmerzen gesprochen habe... Dann sagte sie sie will mich deswegen nicht einstellen. In meiner Verzweiflung warf ich ihr Diskriminierung vor und sie stellte mich doch ein. Nach 11 Monaten wurde ich gekündigt weil ich 4 Wochen im Krankenstand war. (Ich hab zwar an 365 Tagen im Jahr Kopfschmerzen, also immer, aber zu der Zeit waren die Schmerzen nie unter Stärke 7 und ich kam einfach nicht mehr außer Haus). Mein Arzt wollte meinen Krankenstand nicht verlängern weil ich ja "nur" Kopfschmerzen habe und deswegen ließ ich mich auf beidseitige Kündigung ein, damit ich einfach in Ruhe "krank" sein durfte. Ich war dann auch nicht arbeitslos gemeldet, bekam also kein Geld, weil da hätte ich hingehen müssen und das konnte ich nicht.
Seit einigen Monaten bin ich jetzt wieder beim Arbeitsamt gemeldet und bin zweimal pro Woche bei verschiedenen beruflichen Rehabilitationskursen wo dann Sprüche kommen wie : "ja ich hab auch ab und zu so ein Kopfbrummen, trinkst du eh genug?"
Seit zwei Monaten muss ich diese Sprüche und ungefragt pesudomedizinische "Weisheiten " über mich ergehen lassen und seitdem merke ich erstmal dass die Krankheit sich psychisch auswirkt denn jetzt bin ich zu diesen sozialen Verpflichtungen gezwungen. seit etwa 3 Jahren hatte ich kaum noch Sozialkontakt weil es runterzieht. Also nurmeine 2 besten Freunde und mein Partner, ansonsten hab ich aufgehört Familie oder Bekannte zu treffen weil es zum einen nervt und zum anderen sehr anstrengend ist und auch weil Termine oder Treffen oft nicht einhalten sind und das den Gegenüber beim 10. Mal verschieben dann nervt....
In Urlaub würde ich nie fliegen sondern wenn überhaupt fährt mein Partner mit dem Auto.
Pläne machen wir mittlerweile gar nicht mehr sondern entscheiden am Wochenende ganz spontan ob wir rausgehen können. Mein Partner hätte sehr gerne Kinder aber für mich ist das absolut unvorstellbar und für ihn nach den letzten Monaten der Hochphase auch.
Ich bin 31 und seit 2 Jahren gibt es für much gar kein anderes Thema mehr als die Schmerzen.
Tja, soweit meine persönliche Erfahrung. ...
Liebe Grüße, Nesschen
Re: (Berufs-)Leben mit chronischem Cluster
Verfasst: Mo 10. Okt 2022, 23:46
von zimbelstern
Liebe Nesschen,
danke dir, dass du deine Erfahrungen teilst, so offen und ausführlich - so vieles kommt mir bekannt vor und ist genau der Grund, warum ich das Thema aufgemacht habe.
Ich bin überzeugt, dass hier auf vielen Clusterköpfen unvorstellbare Last liegt, die nicht den Raum bekommt, den sie bräuchte. Eben zum Beispiel, was es bedeutet, als Clusterkopf dennoch in Schule, Studium, Job sich durchzukämpfen so lange es irgendwie geht - und sich doch laufend beschimpfen, beleidigen, herabwürdigen lassen zu müssen. Nicht ernst genommen zu werden, Pseudomedizinische oder -psychologische Erklärungsmuster oder Phrasen wegstecken zu müssen und im Stillen so oft nur denken zu können: "Egal wie ich es sage, du mein Gegenüber (in welcher Situation auch immer) würdest es doch nicht verstehen." Nicht verstehen wollen oder nicht verstehen können. Den Kopfschmerzen- wer von uns Clusterköpfen hat das noch nie zu hören bekommen - die hat doch jede(r) immer mal wieder.
Eine Struktur nehme ich wahr, die du mit deinem Partner gelöst hast wie wir es auch tun: sehr kurzfristig planen und das Leben so bauen wie jeweilige Situationen es zulassen , soweit wir es selbst bestimmen können (es sei denn das AMS hat ganz eigene Vorstellungen- nicht wahr?
Aber eben auch das Gefangen-Sein immer wieder in Strukturen, die von außen vorgeschrieben werden, oder die Lebensnotwendigkeiten einfach bedingen. Und den vielfachen Kraftaufwand den es bedeutet, diese hinreichend zur(er)füllen.
Ich hoffe, dass noch andere in diesen Austausch einsteigen möchten und bin gespannt.
Dir selbst wünsche ich viel Kraft - und dass du bald Hilfe findest, eine Diagnose und damit hoffentlich medizinische Unterstützung bekommst. Das ist längst nicht alles, was an Bewältigungsaufgaben bei Cluster ansteht, aber ein so wichtiger Teil.
Alles liebe, zimbelstern
Re: (Berufs-)Leben mit chronischem Cluster
Verfasst: Mi 12. Okt 2022, 16:30
von Nesschen
Liebe Zimbelstern,
Schön, deine Antwort zu lesen - frei von Ratschlägen, Unverständnis oder auf-die-leichte-Schulter-nehmen.
Das ist leider viel zu selten so.
Ja, das Gefangen sein in Strukturen ist natürlich ein sehr wichtiger Punkt. Vor kurzem sprach ich mit jemandem der zwar keine Kopfschmerzen hat aber chronische Schmerzen und er meinte seine Arbeit sei wie eine Zwangsehe. Er macht sie gerne und ist froh, dass ihm die Arbeit seine nötige Flexibilität schenkt, aber andererseits hätte er nicht wirklich die Freiheit etwas anderes zu machen, denn es ist schwer genug überhaupt etwas zu finden...
Was die Diagnose betrifft: einerseits hoffe ich immer noch dass ich eines Tages aufwache und keine Schmerzen habe und andererseits erhofft man sich bei einer Diagnose zumindest ernst genommen zu werden...
Liebe Grüße
Re: (Berufs-)Leben mit chronischem Cluster
Verfasst: So 23. Okt 2022, 23:48
von zimbelstern
Liebe Nesschen,
das kann ich gut nachvollziehen, deinen Wunsch, einfach ernst genommen, nicht abgestempelt oder abgefertigt zu werden.
Und ich wünsche dir, dass es dir gelingen kann, für dich ein Unterstützungsnetzwerk aufzubauen, das dich in genau dieser Hinsicht trägt.
Alles liebe, Zimbelstern
Re: (Berufs-)Leben mit chronischem Cluster
Verfasst: Mo 7. Nov 2022, 10:54
von AndreC
Hallo,
ich habe seit ca 37 Jahren Cluster.
50+, männlich
leider die übliche Odysee der Diagnose mitgemacht
anfangs alles an Tabletten usw. gefuttert was den Ärzten so eingefallen ist, bis die ersten fiesen Nebenwirkungen kamen.
Diagnose vor 20 Jahren, anfangs mit 8-10 Attacken im Monat dann steigerte sich das bis vor einigen Monaten auf 20+ Attacken.
Arbeite in der IT, GdB 50
Habe leider einige Trigger die echt gemein sind, z.B. Apfelsaft bestimmter Sorten, Blaulicht einiger Rettungswagenmodelle....
Anfangs episodisch mit großen Lücken, seit fast 22 Jahren "chronisch" mit leider nur insgesamt 4 jew. etwa 6 Wochen dauernden Pausen.
(habe damals vermutet das es die Malariaprophylaxe war. Konnte das aber leider nicht testen da das Medikament Lariam
mittlerweile nicht mehr verfügbar ist.)
War mit O2 und Triptanen soweit ganz gut versorgt.
Die gängigen vorbeugenden Mittel wie Verapamil usw. hatten leider nur anfangs Wirkung
ich musste mich also die letzten 15 Jahre mit Akutmedikation begnügen, bis kurz vor Corona die Triptane anfingen die gewünschte Wirkung zu verlieren
dafür aber Nebenwirkungen zu bekommen. Das war für alle Beteiligten nicht einfach.
Zum Glück waren/sind die Arbeitgeber (2) bisher ganz OK damit. Ich war durch den Job viel unterwegs, habe es immer irgendwie hinbekommen.
Bin jetzt intern auf einen Job gewechselt wo nicht mehr viel gereist wird.
Dazu gab es in der letzten Zeit auch Unterstützung in Form von bis zu 100% Homeoffice und sehr flexible Arbeitszeiten was das ganze sehr vereinfacht hat.
Die Kollegen, Familie, Freunde und Bekannte sind fast alle verständnissvoll aber ca. 20% ist es (nicht nur bei mir) völlig egal....
Ärzte sind hier an der Ostsee soweit OK was Cluster angeht, mein Hausarzt ist in den über 20 Jahren auch zu einem "Clusterkenner" geworden, meine neurologische Praxis hat noch 2 andere Clusterfälle in Behandlung.
Meine größten Probleme habe/hatte ich mit der Urlaubsvertretung vom Hausarzt, da kommen dann so Kommentare "können sie es nicht einmal mit Kamillentee versuchen" oder dergleichen
und der Krankenkasse.
Im Ausland war ich ja "privat" über die Auslandversicherung versorgt, da ging alles immer echt reibungslos.
Jetzt mit den Regelleistungen der gesetzlichen Krankenkasse muß ich bei fast jeder Verordnung oder aufsuchen einer Schmerzpraxis vorab ein OK einholen.
Mittlerweile interessiert die Kasse/MdK nicht mehr was mein Hausarzt schreibt, die verlangen immer sofort Atteste vom Neurologen... das macht die Sache nicht einfacher bei den Wartezeiten für einen Termin.
Re: (Berufs-)Leben mit chronischem Cluster
Verfasst: Sa 12. Nov 2022, 20:47
von zimbelstern
Hallo AndreC,
ich danke dir, dass du deine Erfahrungen mit uns so offen geteilt hast.
Gar manche Parallelen habe ich entdeckt: angefangen von 50+ und der Dauer, seitdem du den Cluster hast - das heißt, auch du bist einer derjenigen, die ihn seit Jugend haben.
Wie gut zu lesen, dass du Hausarzt-mäßig inzwischen gut versorgt bist - dein HA zum Spezialisten geworden ist.
Ja, der Kampf mit dem System, der kommt mir mehr als bekannt vor - da scheinen sich D und Ö nicht so viel zu nehmen. Meine Erfahrung ist, dass gute ärztliche Anbindung fraglos extrem wichtig aber eben doch nur ein Teil der Miete ist. Damit ist so oft noch gar nichts gewonnen, wenn man z.B. zwar Rezepte hat, aber die Dinge dann doch nicht bekommt.
Kampf um Bewilligungen - das ist auch mein Dauer-Brot. Und manchmal spüre ich, dass ich fast aufgeben möchte um etwas zu kämpfen - wenn nur der Cluster nicht so heftig wäre, dass es an sich nicht ohne geht.
Was du von deinem Arbeitsbereich schreibst, klingt nach der bestmöglichen Variante, die es lebbar macht: GdB und einen Arbeitgeber, der dich unterstützt. Wie gut, dass du ein solches berufliches Umfeld hast, wenn schon der Cluster so fies ist.
Ich wünsche dir möglichst viele schmerzarme Zeiten und einen langen Atem immer wieder durchzuatmen und zum Durchhalten.
Zimbelstern.
Re: (Berufs-)Leben mit chronischem Cluster
Verfasst: Mi 5. Jul 2023, 12:30
von Tumraneedi
Hallo ihr Lieben,
Ich (männlich, 52 Jahre, GdB 70) leide schon seit mehr als 40 Jahren an „Kopfschmerzen“, daher weiß ich, dass es bei Kopfschmerzen ein langer und mühseliger Weg sein kann, bis eine handfeste Diagnose feststeht und man dann nicht um die Krankheit, sondern gegen die Krankheit kämpfen kann.
Ich hatte im Laufe der Jahre dann die unterschiedlichsten Heilungsansätze ausprobiert. Mir wurden Zähne gezogen, die Nase operiert, es gab Schmerzmittelentzüge und Umstellung auf andere Schmerzmittel. Ich war in Schmerzkliniken (Kiel und Königstein), habe Entspannungsübungen gemacht und Psychologen aufgesucht, habe Migräne-Kongresse besucht und vieles mehr.
In den letzten 10 Jahren waren die Kopfschmerzen von starken Zahnschmerzen begleitet. Ich konnte phasenweise nicht richtig essen, da ich auf der rechten Seite nicht mehr kauen konnte. Daher habe ich viele Stunden bei diversen Zahnärzten und Kieferchirurgen verbracht. Ich hatte mehrere Wurzelbehandlungen und 3 Wurzelresektionen. Interessanterweise alle beim gleichen Zahn, bis dieser mir dann gezogen wurde, mit dem Ergebnis, dass die Schmerzen geblieben sind – auch ohne Zahn.
Irgendwann hat dann, glücklicherweise mein Zahnarzt – der sich wirklich viel Mühe gegeben und immer für mich Verständnis hatte, aufgegeben und mich an einen Neurologen überwiesen.
Ich habe einen Dauerkopfschmerz (24/7) und die üblichen CK-Attacken alle paar Tage die sich zum Teil über den ganzen Tag hinziehen.
Im Alltag rede ich, wie viele von uns, nicht so gerne über den Cluster, da ja eh niemand die ganze Tragweite versteht und es als bloße „Kopfschmerzen“ abtut.
Ich lasse mir auch oft den Dauerkopfschmerz, der sich bei Schmerzskala 3-6 befindet, auch nicht anmerken. Ich funktioniere in Gesellschaft oft einfach nur… Nur gerade dieser Dauerschmerz zermürbt mich immer mehr. Der erste und letzte Gedanke des Tages: "Kopfschmerz".
Ich habe das Glück, dass ich seit Corona (ca. 3 ½ Jahr zu 100 % im Homeoffice bin und ich es mir zu Hause so einrichten (Licht, Luft usw.) kann, wie es am besten geht.
Ich falle auch sehr oft aus und bin krankgeschrieben. Wenn ich morgen schon eine CK-Attacke habe, lasse ich mich krankschreiben, da ich weiß, dass die nächsten Tage nicht besser werden.
Wenn ich „nur“ den Dauerkopfschmerz habe, arbeite ich oft so wie ich kann. Da ich nur 5 Stunden am Tag arbeite (auch IT), bekomme ich die Tage ganz gut rum. Allerdings kommt es auch vor, dass ich mich morgens nur am PC einlogge, aber gar nicht produktiv tätig sein kann.
Mein Hausarzt, der mich krankschreibt, hat viel Verständnis für meine Situation und es reicht ein Anruf (telefonisches Arztgespräch) und ich werden dann krankgeschrieben. Zur Zeit beantrage ich gerade Erwerbsminderungs Rente und stehe vor dem Gutachtertermin.
Ich merke aber, je älter ich werde, dass ich die schweren Attacken nicht mehr so gut wegstecken kann. Früher habe ich mich eher aktiv gegen die Schmerzen wehen wollen und sie nicht akzeptiert. Jetzt ist es seit einiger Zeit so, dass ich in immer tiefere Löcher falle und es immer länger dauert aus so einem Gefühlsloch herauszukommen. Während der Attacke habe das Gefühl, die Schmerzen gehen nie mehr weg. Das macht mir zusehends immer mehr zu schaffen. Ich bemühe mich seit einigen Monaten um eine psychologische Behandlung, habe aber bisher keinen Therapeuten gefunden, der das Thema Schmerz behandelt und Zeit hat.
Ich habe die Zeit in den Schmerzkliniken genossen, da man mit so vielen Gleichgesinnten Menschen ins Gespräch kam und man sich gegenseitig sofort verstanden hat. Es brauchte da keinen langen Erklärungen.
Meine Frau leidet auch sehr unter der Situation, besonders unter Hilflosigkeit. Sie möchte mir helfen, doch was kann sie tun..
Ich versuche daher mittlerweile auch in ihrer Gegenwart mir meine Schmerzen nicht anmerken zu lassen. Doch das ist nicht immer möglich, auch das belastet mich immer mehr.
Zurzeit versuche ich eine neue Therapie mit Antikörper Spritzen 1x im Monat. Doch jetzt nach der vierten Injektion, habe ich das Gefühl, dass auch diese Therapie, wenn überhaupt nur sehr eingeschränkt hilft. Ich habe nur Angst davor, dass es irgendwann dazu kommt, dass mein Neurologe sagt, er kann nichts mehr für mich tun. Solange ich etwas versuche, habe ich immer die Hoffnung, dass ich irgendwann etwas finde, was mir hilft.
Ich wünsche euch alles Gute
Tumraneedi
Re: (Berufs-)Leben mit chronischem Cluster
Verfasst: Do 3. Aug 2023, 23:21
von zimbelstern
Danke dir herzlich fürs Teilen deiner - im Wortsinn und im übertragenen Sinne - schmerzhaften Erfahrungen.
Vieles davon hat mich berührt, weil es mir so bekannt vorkommt: Funktionieren, lieber nichts sagen, statt zu spüren, dass man eh nicht verstanden wird, die Wichtigkeit eines guten Versorgungsnetzes (das merke ich gerade im Moment, wo meine Hausärztin in Pension gegangen ist und das Netzwerk noch nicht wieder ideal ergänzt ist), die Erfahrung, wie sehr es helfen kann, wenn man strukturell sich die Dinge so einrichten kann, dass es möglichst gut geht - wie gut, dass das bei dir möglich ist seit der Pandemiezeit.
Und auch nachvollziehen kann ich, das Empfinden, dass Kräfte des Tolerierens mit den Jahren / Jahrzehnten nachlassen. Wir sind offb. ähnlich alt, haben den Cluster beide schon sehr lange (ich seit meinem 13. Lebensjahr).
Ich mache die Erfahrung, dass es mir Kraft gibt, Dinge zu tun, die mich stärken, mir gut tun im Wortsinn. Das reduziert keine Attacken, aber es hilft, mit der Erkrankung zu leben.
So mache ich seit Jahren Entspannungstraining, meditiere, schreibe (selbst und in Kursen, die ich als Schreibtherapeutin gebe), bin an der Luft, erkenne meine Grenzen an und benenne sie auch.
Wie geschrieben - alles das verändert nicht den Cluster ursächlich - aber es hilft mir auf dem Weg mit dem Cluster.
Alles Gute dir, viel Kraft
Re: (Berufs-)Leben mit chronischem Cluster
Verfasst: Fr 27. Okt 2023, 13:35
von Drehfluegel
Hallo in die Runde.
Ich bin hier der neue Clusterkopf und dank einiger medizinischer Vorkenntnisse war meine Odyssee bei den Ärzten nicht sehr lang. Als ich meiner Hausärztin Mitte April 23 von meiner Verdachtsdiagnose Clusterkopfschmerz und ihr meine Symptome schilderte (saß ihr mit tränendem Auge und verstopfter Nase gegenüber) meinte sie: Sie haben keine Kopfschmerzen, sie haben eine Depression.
Das war dann der berühmte Behandlungs- Diagnosefehler zuviel. (Habe zum Glück einen neuen Hausarzt gefunden)Ab zum Neurologen.Der hat die Situation erkannt und mich notfallmäßig ins Krankenhaus überwiesen. Ascotop nasal und Sauerstoff haben sofort geholfen.
Seitdem habe ich täglich alle 3 Stunden eine Attacke.
Seit Ende August schlagen die Medikamente an (Verapamil, Topiramat), sodass ich keine Triptane mehr nehme. Sauerstoff nur noch gelegentlich. Verapamil kann ich nicht weiter steigern, da sich ein AV-Block gebildet hat. Bekomme jetzt zusätzlich Lithium. Dennoch bleibt es bei 8 Attacken täglich bei geringerer Schmerzintensität. Bin gerade aus Bad Zwesten zurück. Dort mit der Prognose für weitere 6 Monate AU entlassen worden. Stellt sich für mich nun die Frage wie es überhaupt weitergeht.
Würde mir für mich wünschen wenigstens mal einen "clusterfreien" Tag zu haben. An Arbeit kann ich momentan noch nicht denken.
Gruß
Drehflügel