Archiv hat geschrieben: Do 8. Feb 2018, 21:08
Anfang dieser Woche ist im Gesundheitsmagazin des Sterns ein ganzes Heft dem Kopfschmerz gewidmet. Ein großer Teil davon dem Clusterkopfschmerz. Rüdiger und Anja wurde wurden zu diesem Zweck interviewt. Beide haben äußerst plastisch die Wirklichkeit von Betroffenen und ihren Angehörigen dargestelt ohne zu dramatisieren.
Dafür möchte ich beiden dank sagen. Dieser Artikel und die Aussagen unserer Ehrenmitglieder Prof. Dr. Kaube und Prof Dr. Göbel sowie der anden Fachleute werden dazu beitragen unsere Forderung zu befördern. Wir können mit Fug und Recht feststellen, dass diese Heft ein weiterer Mailenstein auf dem Weg zum besseren Verständnis unserer Krankheit in der Öffentlichkeit ist.
Ich denke, wir von der CSG dürfen auch einwenig stolz sein den unsere gute Arbeit wird doch wahrgenommen. Es lohnt sich mitzumachen.
Gruß
Hans
Ich habe mir den Artikel im Internet angehört und werde mir das Heft besorgen.
Das "im Anfall zum Tier werden" hat wohl den meisten Betroffenen zuerst einmal Aerger eingebracht. Verhaltensstörung, Psychosomatisch usw.
Eigentlich werden wir zum Ur- Mensch. Zu einem rein biologischen Lebewesen mit Ueberlebensinstinkt. Und wenn damit nicht zu leben ist, töten wir nicht uns, sondern das, was uns quält. Damit wird im Anfall der eigene Körper zum Feind. Ich denke alle Selbstmorde bei Cluster sind nichts anderes als der Instinkt das zu töten, was einem "unsichtbarer Weise" angreift.
Berührungsempfindlichkeit, Herumgehen, den Kopf gegen die Wand schlagen, alles Dinge, deswegen bei Cluster so charakteristisch sind, weil sonst nichts diesen Schmerzlevel erreicht ausser einer realen schweren Verletzung.
Der Körper reagiert und wir sind im ausgeliefert. Einerseits raubt einem dieser unglaublich starke und schnell einfahrende Schmerz eh schon fast den Verstand und dann werden wir noch zu etwas, das wir nicht sind. Das Tier.
Eigentlich heisst es nur, dass der Körper die Regie übernimmt, Adrenalin ausgeschüttet wird, Alarmstufe Rot eingeleitet und er bestimmt, wie wir uns bewegen, ob wir schreien und stöhnen, ob wir nichts mehr auf der Haut vertragen, keine Berührung, keine Nähe.
Starke Attacken krümmen mich. Der Oberkörper nach vorne, manchmal gehe ich in die Knie.
Manchmal krieche ich auf allen vieren ins Bad, um mir eine Spritze zu setzen.
Ich verschwinde in Hinterhöfen und Umkleidekabinen, wenn ich unterwegs bin, oder im Auto,
kauere auf dem Boden, sitze auf dem Autositz und wippe, bis das Sumatriptan wirkt.
Trotzdem erschrecke ich immer wieder Leute. Vor einer Woche bekam ein Bekannter, der sehr wohl wusste, was ich habe, mich aber nie in einer so heftigen Attacke gesehen hatte, mit, wie ich hinter dem Ladentresen in die Knie ging nach Luft schnappte und mir im knien, die Spritze in den Oberarm injizierte. Kreideweiss war er. "Ich wusste ja nicht, dass das so schlimm ist."
Ich habe es ihm dann so erklärt, wie ich es mir inzwischen angewöhnt habe. Den Schmerz als Empfindung kann sich eh niemand vorstellen. Also sage ich den Leuten, dass er so stark ist, dass der Körper denkt, ich sei real angegriffen worden und schwer verletzt. Ich sei in akuter Lebensgefahr und werde von etwas Gefährlichem bedroht.
Der Verstand unterscheidet zwischen realer und nicht realer Verletzung. Der Ueberlebensinstinkt des Körpers ist jedoch Impulsgesteuert. Die Schmerzwahrnehmung löst eine Kette von Reaktionen aus. Dass kein "Feind" zu sehen ist, führt nur dazu, dass alle anderen Sinne hochfahren. Das macht uns geräusch-geruchs-und berührungsempfindlich. Es macht uns in einer Attacke auch aggressiv. Auch wenn wir im Kopf noch so wissen, dass es eine Clusterattacke ist, für unseren Körper ist es eine Bedrohungssituation.
Das Adrenalin im Blut muss abgebaut werden. Entweder gehen wir rastlos herum, wippen oder schlagen auf irgendetwas.
Der Verstand hilft uns dabei, uns und sonst niemanden zu verletzen. Gefährlich wird es aber, wenn uns die Attacken im Schlaf überraschen. Wenn wir noch nicht richtig wach sind im Kopf.
Dann haben Körper und Reflexe die totale Kontrolle.
Wir kämpfen in jeder Attacke eigentlich um die Kontrolle über unseren Körper, gegen Reflexe und gegen den Schmerz, der ja fatalerweise aus diesem Körper kommt.
Wenn mich jemand an irgendetwas, das ich in einer Attacke tue z.B. hyperventilieren (meine Art zu Sauerstoff zu kommen) zu hindern, verweise ich darauf, dass es ein Reflex ist. Und Reflexe können nicht willentlich kontrolliert werden.
Will ich jemandem klar machen, dass alles emotionale Verdrängen (das Empfinden des Schmerzes) das Problem nicht löst. Sage ich, dass deswegen der Körper trotzdem reagiert, dass der Schmerz nicht wirklich verschwindet und dass es wahnsinnig anstrengend und auf Dauer nicht gesund ist, solche Schmerzanfälle unbehandelt auszuhalten.
Das das Schlimmste jedoch ist, absolut hilflos zu sein. Die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren und immer wieder zu erleben, dass die Welt kein sicherer Ort ist, egal wo man ist, dass das grauenhafte ist, was diese Krankheit ausmacht.
Der Verweis darauf, dass ich nicht einfach mit Willenskraft etwas gegen den Schmerz oder das Auftreten der Attacken und schon gar nicht auf die Reaktionen des Körpers darauf machen kann,
hilft immer, jemandem verständlich zu machen, was Clusterkopfschmerz eigentlich ist.
brigitte obrist