Für Schmerzkranke hat sich viel getan, aber noch lange nicht genug
Verfasst: Mo 8. Jan 2018, 20:17
Ärzte-Zeitung vom 17.12.2003:
Für Schmerzkranke hat sich viel getan, aber noch lange nicht genug
Von Ruth Ney
Die Behandlung von Patienten mit Schmerzen hat sich in den vergangenen 20 Jahren deutlich verbessert. Dazu beigetragen haben neue Erkenntnisse zu Ursachen und Chronifizierungsmechanismen sowie neue Medikamente - entweder mit neuen Wirkstoffen oder neuer Galenik. Ist also alles im Lot bei der Schmerztherapie? Nein, klagen Schmerztherapeuten, das Gegenteil sei der Fall.
So ist es nach Ansicht des Hamburger Algesiologen Dr. Dietrich Jungck zwar positiv, daß sich zum Beispiel die medikamentöse Versorgung von Schmerzpatienten mit stark wirkenden Opiaten deutlich verbessert hat. Der Versorgungsgrad habe von knapp zehn Prozent im Jahr 1998 auf etwa 33 Prozent zugenommen. "Das heißt aber auch, daß immer noch zwei Drittel der Patienten, die diese Medikamente benötigen, nicht ausreichend versorgt sind", so der Präsident des Verbandes Deutscher Ärzte für Algesiologie.
2000 spezielle Schmerzpraxen, sind nötig, es gibt aber nur 400
Nicht ausreichend ist nach seiner Ansicht auch das flächendeckende Angebot an Einrichtungen, die multimodale Behandlungskonzepte vor allem für die etwa eine Million Patienten mit problematischen Schmerzkrankheiten anbieten können. Derzeit gebe es 400 spezielle Schmerzpraxen, nötig seien aber 2000 bis 3000, so Jungck. Dies sei vor allem wichtig angesichts der Tatsache, daß die Zahl der Patienten mit chronischen Schmerzen kontinuierlich zunimmt. Schätzungen gehen von 11 bis 15 Millionen Betroffenen aus.
Um einer Chronifizierung vorzubeugen, ist es nach Ansicht von Jungck zunächst wichtig, daß ein behandelnder Arzt die Schmerzproblematik bei seinen Patienten überhaupt wahrnimmt und dann diagnostisch richtig bewertet. "Unsere Gesellschaft - und dazu gehören auch wir Ärzte - neigt generell dazu, Schmerzen zu bagatellisieren und zu psychologisieren", so Jungck.
"Wenn jemand zum Beispiel sagt, ich habe Hunger, dann gibt man ihm gleich etwas zu essen. Klagt aber jemand über Schmerzen, dann heißt es oft: Beiß’ die Zähne zusammen, das kann doch nicht so schlimm sein." Viele ältere Patienten wiederum akzeptieren fälschlicherweise Schmerzen als eine Alterserscheinung.
Im Studium erfahren Mediziner zu wenig zur Schmerztherapie
Leider sei eine grundlegende Schwierigkeit, daß Ärzte aus dem Studium entlassen würden, ohne für die Herausforderungen der Schmerztherapie in der täglichen Praxis ausreichend vorbereitet zu sein, klagt Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Schmerztherapeut aus Göppingen und Präsident des Schmerztherapeutischen Kolloquiums - Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie.
Daran ändere auch die neue Approbationsordnung nichts, denn die Schmerztherapie komme darin nicht vor. "Die Folge ist, daß das wichtige Grundwissen zu Chronifizierungsprozessen und zur funktionellen Diagnostik fehlt und die zu hohe Gläubigkeit an die Aussagekraft von Röntgenbildern bestehen bleibt", so Müller-Schwefe.
Ein weiterer Grund für die Defizite bei der Schmerztherapie seien auch die Berufs- und Gebührenordnungen. Denn wer eine gezielte Schmerztherapie - gerade bei komplizierten Krankheiten - anbieten wolle, müsse oft über die engen Grenzen seines Fachgebietes hinaus agieren. "Die Leistungsverzeichnisse orientieren sich streng an den Fachgebietsgrenzen, und so gibt es keine leistungsgerechte Honorierung." Dies gelte auch für Ärzte, die die 1996 neugeschaffene Zusatzbezeichnung "Spezielle Schmerztherapie" erworben haben.
Zumindest für Algesiologen, die sich verbandsintern einer jährlichen Rezertifizierung unterziehen und bestimmte personelle, räumliche und apparative Bedingungen erfüllen, gibt es zwar seit 1991 Schmerztherapievereinbarungen, die eine pauschale Kostenerstattung für die Leistungen vorsieht, die nicht in den Leistungs- und Gebührenverzeichnissen enthalten sind. Diese gelten bundesweit allerdings nur für Ersatzkassen, für die Primärkassen fehlt die flächendeckende Gültigkeit, wie Jungck erläutert. Außerdem fuße die in diesen Verträgen festgelegte Kostenerstattung auf Daten von 1987.
Abhilfe aus der fachlichen Misere kann nach Ansicht von Schmerztherapeuten nur eine eigene Facharztbezeichnung Algesiologie schaffen, die die bei komplizierten, chronischen Schmerzen notwendigen komplexen Behandlungen erlaube. Diese wären dann auch nicht mehr fachfremd.
Doch die Bestrebungen der Fachgesellschaften seien bisher weitgehend auf taube Ohren gestoßen, berichtet Jungck. Nun wollen die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes und die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie gemeinsam einen neuen Antrag bei der Bundesärztekammer einreichen.
FAZIT
Zwischen 11 und 15 Millionen Deutsche haben chronisch Schmerzen. Schmerztherapeuten kritisieren zunehmend, daß deren adäquate Versorgung kaum möglich ist. Gründe dafür sind etwa die mangelhafte Ausbildung von Ärzten auf dem Gebiet der Schmerztherapie. Daran ändert auch die neue Approbationsordnung nichts. Außerdem verhindern die strengen Fachgebietsgrenzen und die daran geknüpfte Honorierung die notwendige komplexe Therapie. Abhilfe könnte eine eigene Facharztausbildung Algesiologie schaffen.
Für Schmerzkranke hat sich viel getan, aber noch lange nicht genug
Von Ruth Ney
Die Behandlung von Patienten mit Schmerzen hat sich in den vergangenen 20 Jahren deutlich verbessert. Dazu beigetragen haben neue Erkenntnisse zu Ursachen und Chronifizierungsmechanismen sowie neue Medikamente - entweder mit neuen Wirkstoffen oder neuer Galenik. Ist also alles im Lot bei der Schmerztherapie? Nein, klagen Schmerztherapeuten, das Gegenteil sei der Fall.
So ist es nach Ansicht des Hamburger Algesiologen Dr. Dietrich Jungck zwar positiv, daß sich zum Beispiel die medikamentöse Versorgung von Schmerzpatienten mit stark wirkenden Opiaten deutlich verbessert hat. Der Versorgungsgrad habe von knapp zehn Prozent im Jahr 1998 auf etwa 33 Prozent zugenommen. "Das heißt aber auch, daß immer noch zwei Drittel der Patienten, die diese Medikamente benötigen, nicht ausreichend versorgt sind", so der Präsident des Verbandes Deutscher Ärzte für Algesiologie.
2000 spezielle Schmerzpraxen, sind nötig, es gibt aber nur 400
Nicht ausreichend ist nach seiner Ansicht auch das flächendeckende Angebot an Einrichtungen, die multimodale Behandlungskonzepte vor allem für die etwa eine Million Patienten mit problematischen Schmerzkrankheiten anbieten können. Derzeit gebe es 400 spezielle Schmerzpraxen, nötig seien aber 2000 bis 3000, so Jungck. Dies sei vor allem wichtig angesichts der Tatsache, daß die Zahl der Patienten mit chronischen Schmerzen kontinuierlich zunimmt. Schätzungen gehen von 11 bis 15 Millionen Betroffenen aus.
Um einer Chronifizierung vorzubeugen, ist es nach Ansicht von Jungck zunächst wichtig, daß ein behandelnder Arzt die Schmerzproblematik bei seinen Patienten überhaupt wahrnimmt und dann diagnostisch richtig bewertet. "Unsere Gesellschaft - und dazu gehören auch wir Ärzte - neigt generell dazu, Schmerzen zu bagatellisieren und zu psychologisieren", so Jungck.
"Wenn jemand zum Beispiel sagt, ich habe Hunger, dann gibt man ihm gleich etwas zu essen. Klagt aber jemand über Schmerzen, dann heißt es oft: Beiß’ die Zähne zusammen, das kann doch nicht so schlimm sein." Viele ältere Patienten wiederum akzeptieren fälschlicherweise Schmerzen als eine Alterserscheinung.
Im Studium erfahren Mediziner zu wenig zur Schmerztherapie
Leider sei eine grundlegende Schwierigkeit, daß Ärzte aus dem Studium entlassen würden, ohne für die Herausforderungen der Schmerztherapie in der täglichen Praxis ausreichend vorbereitet zu sein, klagt Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Schmerztherapeut aus Göppingen und Präsident des Schmerztherapeutischen Kolloquiums - Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie.
Daran ändere auch die neue Approbationsordnung nichts, denn die Schmerztherapie komme darin nicht vor. "Die Folge ist, daß das wichtige Grundwissen zu Chronifizierungsprozessen und zur funktionellen Diagnostik fehlt und die zu hohe Gläubigkeit an die Aussagekraft von Röntgenbildern bestehen bleibt", so Müller-Schwefe.
Ein weiterer Grund für die Defizite bei der Schmerztherapie seien auch die Berufs- und Gebührenordnungen. Denn wer eine gezielte Schmerztherapie - gerade bei komplizierten Krankheiten - anbieten wolle, müsse oft über die engen Grenzen seines Fachgebietes hinaus agieren. "Die Leistungsverzeichnisse orientieren sich streng an den Fachgebietsgrenzen, und so gibt es keine leistungsgerechte Honorierung." Dies gelte auch für Ärzte, die die 1996 neugeschaffene Zusatzbezeichnung "Spezielle Schmerztherapie" erworben haben.
Zumindest für Algesiologen, die sich verbandsintern einer jährlichen Rezertifizierung unterziehen und bestimmte personelle, räumliche und apparative Bedingungen erfüllen, gibt es zwar seit 1991 Schmerztherapievereinbarungen, die eine pauschale Kostenerstattung für die Leistungen vorsieht, die nicht in den Leistungs- und Gebührenverzeichnissen enthalten sind. Diese gelten bundesweit allerdings nur für Ersatzkassen, für die Primärkassen fehlt die flächendeckende Gültigkeit, wie Jungck erläutert. Außerdem fuße die in diesen Verträgen festgelegte Kostenerstattung auf Daten von 1987.
Abhilfe aus der fachlichen Misere kann nach Ansicht von Schmerztherapeuten nur eine eigene Facharztbezeichnung Algesiologie schaffen, die die bei komplizierten, chronischen Schmerzen notwendigen komplexen Behandlungen erlaube. Diese wären dann auch nicht mehr fachfremd.
Doch die Bestrebungen der Fachgesellschaften seien bisher weitgehend auf taube Ohren gestoßen, berichtet Jungck. Nun wollen die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes und die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie gemeinsam einen neuen Antrag bei der Bundesärztekammer einreichen.
FAZIT
Zwischen 11 und 15 Millionen Deutsche haben chronisch Schmerzen. Schmerztherapeuten kritisieren zunehmend, daß deren adäquate Versorgung kaum möglich ist. Gründe dafür sind etwa die mangelhafte Ausbildung von Ärzten auf dem Gebiet der Schmerztherapie. Daran ändert auch die neue Approbationsordnung nichts. Außerdem verhindern die strengen Fachgebietsgrenzen und die daran geknüpfte Honorierung die notwendige komplexe Therapie. Abhilfe könnte eine eigene Facharztausbildung Algesiologie schaffen.